Der Kollwitzkiez – zwischen Käthe und Ali

Anfang der 1930er-Jahre befand sich hier in der Zeit des Nationalsozialismus eines der ersten Konzentrationslager Berlins.

Der Kiez um den Kollwitzplatz liegt in Pankow zwischen der südlichen Metzer Straße, der Schönhauser und Prenzlauer Allee sowie der nördlichen Danziger Straße.

Käthe Kollwitz guckt auf Belluno. Das ist ein Café, ein Restaurant und eine Bar in einem. Steht jedenfalls drauf. Der gastronomische Betrieb liegt etwa 40 Meter vor der 51 Jahre alten Bronzestatue. Fröhlich sieht ihn die Statue auf dem Steinsockel nicht an. Es nieselt (17. Mai  2011). Dunkelgraue Wolken ziehen auf.

Die Kollwitzstraße ist eine breite Straße mit Kopfsteinpflaster und breitem Gehweg. Vierstöckige sanierte Altbauten prägen das Straßenbild. Vereinzelt sind sie mit Graffiti besprüht. Auf dem Platz in der Mitte der Straße zwitschern Vögel in einer Parkanlage.

Helga Bischoff öffnet die Haustür der Kollwitzstraße 74. Die etwa 40-Jährige betreibt im Erdgeschoss eine Kunstgalerie. Die Geschichte des Hauses sei lang. Früher liefen hier Pferde ein und aus, erzählt sie. Eine Plastiktafel im Hausflur informiert mehr darüber. Danach gäbe es das Reihenhaus seit 135 Jahren. Das Pferdefuhrwerk Lorey habe hier bis 1991 sein Werk gehabt. Kutschenschienen im Erdgeschoss weisen noch heute darauf hin. Der einstige Pferdestall auf dem Hinterhof ist heute eine Wohnremise.

„Das ist wie ein Zirkus“

Der 25-jährige Leonid Bojko begrüßt an der Ecke Rykestraße Danziger Straße zwei angereiste Freunde aus Spanien. Er kaut Kaugummi. Der Kollwitzkiez sei eine der teuersten Ecken in Berlin. Aus Sicht des jungen Mannes sei das Zusammenleben im Kiez künstlich. „Das ist wie ein Zirkus“, sagt er. Er blickt schräg gegenüber auf ein besetztes Haus. Lange gehe das Zusammenleben nicht gut.

Der Kiez sei ein Soufflé, dem bei etwas Zug die Luft rausgehe. Auf ein Hinweisschild zur Ausstellung „Pankow. Kreativ. Wirtschaft“ zwei Straßen weiter hat jemand mit Farbspray Kapitalismus ohne Ende?“ geschrieben. Ist das eine Wasserpistole?“, schreit ein Sechsjähriger in blauem T-Shirt an der Ecke zur Belforter Straße. „Sieht das aus wie eine Wasserpistole?“, ruft ein zehnjähriger Junge zurück und rennt ihm mit einer neongelben Plastikspielwaffe in Form eines Maschinengewehrs hinterher. Einige Meter weiter hämmern ältere Jungen Bretter auf einem Abenteuerspielplatz zusammen. Die Luft riecht nach Sägespännen.

Abgeschlossene Höfe

Am südlichen Ende des Kiezes sitzt Alois Senefelder in Stein auf einem Sockel. Er ist der Erfinder des Steindrucks gewesen, steht an der Statue dran. Matti C. aus  Hellersdorf sitzt links neben ihr in einer Gebüschnische und trinkt Müllermilch Banane. Der 22-jährige Praktikant einer Filmproduktionsfirma macht Pause. Die restlichen Krümel einer Stulle knüllt der blondgelockte große Mann in Alufolie zusammen.

„Vor einigen Jahren waren die Höfe in dem Kiez noch nicht verschlossen.“, sagt er. Die Gegend habe an Offenheit eingebüßt. Yoga Kartiko  verteilt Flyer für einen neu eröffneten Gastronomiebetrieb. Darauf wird eine Frühstücks-Flatrate beworben. Der 23-jährige Student aus Indonesien verteilt heute seinen ersten Tag an der Ecke Knaackstraße Kollwitzplatz.

Den Nebenjob habe er über die Kleinanzeigen bei Ebay gefunden. Er studiert Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Brandenburg. Dort entwickele er gerade die Betriebssoftware für einen elektronischen Kiosk. Er lächelt. Flyerverteilen ist eine andere Klasse. Das Gelände des ehemaligen Wasserturms an der Kolmarer Straße ist ein Hügel mit Grün und Gebäuden. Oben gibt es den Berliner Dom, den Fernsehturm und ein Meer an Häusern als Aussicht. Mehrere Feuerwehren tönen in der Ferne. Eine Plastiktafel zu dem Gelände informiert über seine Geschichte. Anfang der 1930er-Jahre war es im Nationalsozialismus eines der ersten Konzentrationslager der Stadt.

Der einstige Wasserturm ist heute ein Wohnhaus. Eine Mutter auf dem Spielplatz am Fuß des  Geländes ist von dem Kiez begeistert. „Der Kiez ist nah am Zentrum Alexanderplatz und voll von Familien mit Kindern, Spielplätzen und Kitas.“, sagt sie. Ihre Tochter klettert ein grünes Geländer auf und ab. Auch die unzähligen Einzelhandelsgeschäfte in den Erdgeschossen finde sie toll. Viele hätten Kinder und Eltern als Zielgruppe.

Die Einbruchsrate ist angestiegen

In der angrenzenden Rykestraße steht Deutschlands größte Synagoge. Mehrere Wohnhäuser umschließen sie. Tag und Nacht wachen vor dem Eingang PolizistInnen. Sie haben dafür eigens ein kleines Wachhäuschen davorgestellt. Polizist Thomas Zander, 44, hat gerade Schicht. Er weist Neugierige ab, die die Synagoge außerhalb von Gottesdiensten besuchen wollen. Seit zwei Jahren gibt es in dem Gebäude eine Grundschule.

Positiv finde er am Kollwitz-Viertel das abendliche Flair. Aus einem Club und einer Bar kann er von seinem Wachposten aus abends klassische Musik neben Technomusik hören. Negativ schätzt er die Sicherheitslage der AnwohnerInnen ein. Die Einbruchsrate sei in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Die hier lebenden BerlinerInnen mit überdurchschnittlichem Einkommen hätten mehr Ipods, Laptops und andere Dinge, die Diebe illegal weiterverkaufen können. Viele Einbrüche fänden inzwischen tagsüber statt. Meistens kämen EinbrecherInnen über die Hinterhöfe in die Wohnungen und Geschäfte. Vielleicht ist mehr Geschlossenheit sogar nötig.

Text und Foto: J. Tust

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