Eine seltene Erberkrankung beherrschte Denise‘ Kindheit

In Deutschland leiden etwa 4 Mio. Menschen an einer seltenen Erkrankung. So auch Denise Goldmann, 43, die seit ihrer Kindheit immer wieder von starken Schwellungen und kolikartigen Bauchkrämpfen heimgesucht wird.
Denise Goldmann erinnert sich zurück an diesen einen Tag in ihrer Kindheit, an dem sich ihr Leben schlagartig änderte. „Alles begann an meinem ersten Schultag. Auf dem Pausenhof gab es eine kleine Rangelei, dabei wurde ich geschubst. Eigentlich keine große Sache, aber plötzlich schwoll meine linke Gesichtshälfte sehr stark an“. Die damals 6-Jährige wurde sofort in eine Klinik gebracht. Schnell war klar: Denise leidet genau wie ihre Mutter und ihr Großvater an der seltenen Erberkrankung „Hereditäres Angioödem“ (kurz: HAE).

sc_ 20130823_edelman_160Das „Hereditäre Angioödem“ ist durch wiederkehrende, unter Umständen sehr ausgeprägte Schwellungen an der Haut und den Schleimhäuten (also auch den inneren Organen) gekennzeichnet. In Deutschland leiden etwa 1.600 Patienten an HAE. Bei ihnen führt eine Genveränderung dazu, dass ein körpereigenes Plasmaprotein (C1-Esterase-Inhibitor) fehlt, also in zu geringer Form vorliegt, oder nur eingeschränkt wirksam ist. Das wiederum bewirkt, dass der Spiegel des Gewebehormons Bradykinin ansteigt und die Gefäßwände durchlässiger werden. Dadurch kommt es z. B. in Stresssituationen, bei Infekten oder starken körperlichen Belastungen immer wieder zu unvorhersehbaren Schwellungen, die gerade im Bereich der oberen Atemwege richtig gefährlich werden können. „Mein Großvater ist leider an HAE gestorben“, schildert Denise. „Ein unbehandeltes Kehlkopfödem hat bei ihm zum Erstickungstod geführt“. Damit es gar nicht erst so weit kommt, ist eine frühzeitige Diagnose und richtige Behandlung sehr wichtig. Doch bis dahin ist es oft ein langer Weg, denn aufgrund des seltenen Vorkommens wird HAE häufig z. B. mit Allergien oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten verwechselt. Viele Patienten durchlaufen daher eine regelrechte Arzt-Odyssee, bis sie endlich wissen, was mit ihnen nicht stimmt.

Denise erhielt ihre Diagnose relativ schnell. Dennoch machte ihr die Krankeit als Kind seelisch wie körperlich sehr zu schaffen. Da die Therapiemöglichkeiten damals, im Jahr 1979, noch nicht so weit fortgeschritten waren wie heute, litt sie regelmäßig an Gesichtsschwellungen und schmerzhaften Magen-Darm-Attacken. Diese gingen mit hochgradigen, krampfartigen Schmerzen und Kreislaufsymptomen, teilweise auch mit Durchfall und Erbrechen, einher. „Ich hatte dann einen Bauch wie Beton und konnte kaum mehr gehen“. Denise verbrachte einen Großteil ihrer Kindheit in Krankenhäusern. Wenn das junge Mädchen mal in der Schule war, wurde sie von den anderen Kindern häufig verspottet. An diese Zeit erinnert sich Denise nicht gerne zurück.
sc_2.Insgesamt 20 Jahre hat es gedauert, bis sie endlich ein wirksames Medikament bekam. Dadurch kann Denise mittlerweile ein nahezu normales Leben führen. „Heute“, resümiert die Berlinerin, „stellt HAE im Alltag kein Problem für mich dar“. Im Schnitt hat sie zweimal pro Woche eine Attacke. Bei den ersten Anzeichen handelt sie sofort, damit die Schwellung sich nicht weiter ausbreitet. Ein Notfallpass, den sie immer bei sich trägt, gibt ihr ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit.

Denise steht heute mitten im Leben und lässt sich von HAE nicht einschränken. Die lebenslustige Krankenschwester ist mittlerweile verheiratet und Mutter des 10-jährigen Samuel. Der muntere Schüler ist ebenfalls von HAE betroffen, lässt sich jedoch genau wie seine Mutter nicht von der Krankheit einschränken. In seiner Freizeit spielt der kleine Wirbelwind am liebsten den ganzen Tag Fußball.

Denise hat sich zum Ziel gesetzt, anderen HAE-Patienten Mut zu machen und ein Vorbild für alle zu sein, die sich trotz HAE ihre Freude am Leben bewahren wollen. Wenn sie nicht gerade Zeit mit ihrer Familie verbringt, pflegt sie z. B. bei regelmäßigen Treffen mit der HAE-Vereinigung e. V. den Austausch mit anderen Betroffenen. Die Selbsthilfegruppe (www.schwellungen.de oder www.facebook.de/haevereinigung) ist eine Anlaufstelle für alle, die sich über HAE infomieren möchten oder den Kontakt zu anderen Patienten suchen. Darüber hinaus findet man weitere Informationen zur Krankheit auch auf www.hae-erkennen.de, www.hae-info.net oder www.hae-notfall.de.

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Denise Goldmann im Interview

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Denise, Du gehst sehr offen mit Deiner HAE-Erkrankung um. So hast Du beispielsweise Deine Kollegen von Beginn an über Deine Schwellungsattacken informiert. Hat das einen besonderen Grund?
„Ja, ich denke das erspart viele Missverständnisse, wenn es dann doch mal zu Fehlzeiten und Ausfällen kommt, und gibt vor allem ein sicheres Gefühl im Notfall. Meine Kollegen kannten die Krankheit vorher zwar nicht, aber sie waren sofort sehr interessiert und aufgeschlossen. Im Alltag gehen wir ganz normal miteinander um.“

Dein Sohn Samuel hat HAE von Dir geerbt, auch damit gehst Du ganz offen um. Gab es diesbezüglich denn nie Vorbehalte – beispielsweise bei der Suche nach einem Kindergartenplatz?
„Das war anfangs schon eine große Herausforderung für uns. Mit dem Wissen um Samuels Krankheit waren sehr viele Erzieherinnen und Erzieher abgeschreckt und wollten ihn nicht aufnehmen. Die Verantwortung, dass dem Jungen etwas passiert, wollte niemand auf sich nehmen. Irgendwann klappte es glücklicherweise doch. Wir haben Informationsmaterial für die Betreuer und Lehrer zusammen gestellt, das war glaube ich auch sehr wichtig, um Klarheit zu schaffen.“

In Deiner Freizeit betreibst Du viel Aufklärungsarbeit über HAE. Was genau liegt Dir daran so am Herzen?
„Wann immer ich die Chance habe, jemanden von HAE zu erzählen, nutze ich sie. Ich möchte anderen Betroffenen Mut machen und Nicht-Betroffenen möchte ich von dieser seltenen Erkrankung erzählen, damit sie daran denken, wenn sie mal einem Menschen mit geschwollenem Gesicht oder geschwollenen Armen und Beinen begegnen. Es gibt sicher noch viele Menschen mit HAE, die immer noch auf der Suche nach ihrer Diagnose sind.“

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(Artikelfoto: Denise Goldmann, Fotos:© Edelman.ergo GmbH)

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